Parentifizierung: Wenn Kinder nicht mehr Kind sein dürfen

Parentifizierung ist ein psychologisches Phänomen, bei dem ein Kind die Verantwortung für die elterliche Rolle übernimmt, oft auf Kosten seiner eigenen emotionalen und psychischen Entwicklung. Dieses Thema gewinnt zunehmend an Aufmerksamkeit, da seine langfristigen Auswirkungen auf die betroffenen Kinder erheblich sein können. In diesem Blogbeitrag werden wir uns eingehend mit dem Konzept der Parentifizierung, ihren Ursachen, den möglichen Folgen und den Wegen zur Unterstützung der betroffenen Kinder und Familien beschäftigen.

Was ist Parentifizierung?

Parentifizierung tritt auf, wenn ein Kind regelmäßig Aufgaben und Verantwortungen übernimmt, die eigentlich den Erwachsenen zustehen. Dies kann in zwei Hauptformen auftreten:

Instrumentelle Parentifizierung: Das Kind übernimmt praktische und haushaltsbezogene Aufgaben wie Kochen, Putzen, und Einkaufen. Es kann auch die Rolle eines Pflegers übernehmen, insbesondere wenn ein Elternteil krank ist oder suchtkrankes Verhalten zeigt.

Emotionale Parentifizierung: Das Kind übernimmt emotionale Verantwortung für die Eltern oder Geschwister. Es wird zu einem emotionalen Stütze für die Eltern, hört sich deren Sorgen an, tröstet sie und versucht, ihre emotionalen Bedürfnisse zu erfüllen.

Ursachen der Parentifizierung

Die Ursachen für Parentifizierung sind vielfältig und können in unterschiedlichen familiären und sozialen Kontexten auftreten. Einige der häufigsten Gründe sind:

Krankheit oder Sucht eines Elternteils: Wenn ein Elternteil physisch oder psychisch nicht in der Lage ist, seine Elternrolle auszufüllen, kann das Kind gezwungen sein, diese Aufgaben zu übernehmen.

Alleinerziehende Eltern: In Familien, in denen nur ein Elternteil vorhanden ist, kann das Kind zusätzliche Verantwortung übernehmen müssen, um dem alleinerziehenden Elternteil zu helfen.

Emotionale Unreife der Eltern: Eltern, die selbst emotional nicht ausgereift sind oder traumatische Erlebnisse hatten, können unbewusst von ihren Kindern emotionale Unterstützung erwarten.

Kulturelle und soziale Faktoren: In manchen Kulturen und Gemeinschaften wird von Kindern erwartet, dass sie früh Verantwortung übernehmen, insbesondere wenn die Familie wirtschaftlichen oder sozialen Herausforderungen gegenübersteht.

Folgen der Parentifizierung

Die Auswirkungen der Parentifizierung auf Kinder können tiefgreifend und langfristig sein. Während einige Kinder die Herausforderungen scheinbar gut meistern und Fähigkeiten wie Verantwortungsbewusstsein und Unabhängigkeit entwickeln, sind die negativen Konsequenzen oft schwerwiegender und nachhaltiger:

Emotionale Belastung: Kinder, die parentifiziert werden, erleben oft hohe emotionale Belastung und Stress. Sie haben wenig Raum, ihre eigenen Gefühle zu entwickeln und auszudrücken, da sie sich ständig um die Bedürfnisse anderer kümmern müssen.

Geringes Selbstwertgefühl: Da parentifizierte Kinder häufig das Gefühl haben, dass ihre eigenen Bedürfnisse und Gefühle weniger wichtig sind, können sie ein geringes Selbstwertgefühl entwickeln.

Beziehungsprobleme im Erwachsenenalter: Die Rollenverwirrung und die Belastungen, die diese Kinder in ihrer Kindheit erfahren, können zu Schwierigkeiten in ihren späteren Beziehungen führen. Sie können Probleme haben, gesunde Grenzen zu setzen oder neigen dazu, in Co-Abhängigkeit zu geraten.

Psychische Gesundheitsprobleme: Langfristig kann Parentifizierung zu psychischen Gesundheitsproblemen wie Angststörungen, Depressionen und Burnout führen.

Unterstützung für Betroffene

Es gibt verschiedene Ansätze, um Kindern und Familien zu helfen, die von Parentifizierung betroffen sind:

Therapie und Beratung: Professionelle Hilfe durch Therapeuten oder Berater kann den betroffenen Kindern und ihren Familien helfen, die Dynamiken der Parentifizierung zu erkennen und zu verändern. Besonders hilfreich sind Ansätze wie die Familientherapie, die darauf abzielen, die Rollen innerhalb der Familie neu zu definieren und zu balancieren.

Aufklärung und Sensibilisierung: Bildung und Sensibilisierung können dazu beitragen, das Bewusstsein für das Problem der Parentifizierung zu schärfen. Eltern, Lehrer und andere Bezugspersonen sollten über die potenziellen Risiken und Anzeichen von Parentifizierung informiert werden.

Förderung von kindgerechten Aktivitäten: Es ist wichtig, den betroffenen Kindern Raum für kindgerechte Aktivitäten zu geben, die ihnen ermöglichen, ihre eigene Identität zu entwickeln und positive, altersgerechte Erfahrungen zu machen.

Unterstützungssysteme stärken: Der Aufbau und die Stärkung von Unterstützungsnetzwerken können dazu beitragen, die Belastung von Kindern zu verringern. Dies kann durch die Einbeziehung von erweiterten Familienmitgliedern, Gemeindegruppen oder sozialen Diensten geschehen.

Fazit

Parentifizierung ist ein komplexes und vielschichtiges Phänomen, das erhebliche Auswirkungen auf die betroffenen Kinder und ihre zukünftigen Leben haben kann. Es ist wichtig, die Zeichen von Parentifizierung zu erkennen und frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um die Kinder zu unterstützen und ihnen zu ermöglichen, eine gesunde, ausgewogene Kindheit zu erleben. Durch gezielte Unterstützung und Aufklärung können wir dazu beitragen, dass Kinder in ihrer Rolle als Kinder bleiben dürfen und nicht die Lasten tragen müssen, die eigentlich den Erwachsenen vorbehalten sind.

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Über Severin Camenisch

Als Komplementärtherapeut mit Branchenzertifikat OdA KT und Mitglied beim Shiatsuverband verbinde ich westliche Therapieansätze mit fernöstlicher Heilkunst.

Die Integration von Shiatsu mit körpertherapeutischen Ansätzen bietet eine ganzheitliche Herangehensweise zur positiven Beeinflussung der Gesundheit. Durch die Kombination verschiedener Techniken können sowohl körperliche als auch emotionale Probleme behandelt werden.

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